pts20060619009 Bildung/Karriere, Technologie/Digitalisierung

Nachlese: talk.IT!: "Gehen uns die Techniker aus?

"IT-Fachkräftemangel und die wirtschaftlichen Folgen"


eSchwechat
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Wien/Schwechat (pts009/19.06.2006/08:47) Eine hochkarätige Diskussionsrunde widmete sich am 13. Juni auf Schloss Rothmühle in Schwechat im Rahmen des bereits fünften talk.IT! - Events - Teil der Schwechater Information Society-Initiative eSchwechat.at (http://www.eSchwechat.at) - dem wachsenden Mangel an technikorientierten BerufsanwärterInnen im Allgemeinen und an IT-SpezialistInnen im Besonderen.

Schwechat als IT-Bildungsstandort

Im Rahmen seiner Begrüßung berichtete Gastgeber und eSchwechat.at-Programm-Manager DI Helmut Paugger, Geschäftsführer von Innovation Consultancy, über die Anstrengungen der Stadt Schwechat zur Errichtung eines hochwertigen IT-Bildungsstandorts. Innerhalb des neuen, in Schwechat beheimateten CEIT Central European Institute of Technology (http://www.ceit.at) werden ab Herbst 2006 eine "Private Höhere Lehranstalt für Berufstätige für Informationstechnologie" (Abschluss: HTL-Matura) sowie der "Postgraduale Studiengang für Technische Informatik" (Abschluss: DI(FH)) angeboten.

"Nokia doesn't trust the universities"

Anschließend entzauberte der Vortrag der prominenten Gastsprecherin, Riitta Vänskä, MSc, Senior Manager für Education & Research Policy im Nokia-Hauptquartier in Helsinki-Espoo, den Mythos Finnland in seiner Rolle als Vorbildland für Ausbildungsqualität und Technologieaffinität: "PISA ist ein guter Indikator für das allgemeine Bildungsniveau, sagt jedoch nichts über Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft, insbesondere der Technologiesektors, aus. In Finnland gibt es keine wirklich schlecht ausgebildeten Menschen, aber auch keine ganz besonders guten, wir sind einfach durchschnittlich."

Finnland hätte zu theorielastige Universitäten und Fachhochschulen, die Professoren würden zu wenig die Bedürfnisse der Wirtschaft verstehen. Speziell die Fachhochschulen in Finnland kritisierte Vänskä, da diese sich zu sehr an den Master Degree-Studien der Unis orientieren würden. Die FH-Absolventen würden dann sofort "Big Bosses-Jobs" anstreben, anstatt Projektmitarbeiterschaft, wofür sie eigentlich ausgebildet wurden. Nokia spricht daher gerne Uni-Absolventen aus anderen Ländern an, die eine bessere Ausbildung hätten.

Weiters: "Finland doesn't offer enough academic training in English", wodurch viel zu wenig internationale Studenten und vor allem Professoren nach Finnland kämen - ein Faktum, das auch in Österreich gültig ist.

"Nokia doesn't trust the Finnish universities", meinte Vänskä zusammenfassend und zeigte sich interessiert am österreichischen Konzept der FHs und HTLs.

Wie in Österreich gibt es auch in Finnland viel zu wenig Frauen, die technische Berufe ergreifen. Nokia versucht daher bereits im Volksschulalter Mädchen für die Technik zu begeistern, scheitert aber oft an einer noch immer stark vorherrschenden konservativen Sicht der Geschlechterrollen. "Mädchen trauen sich die Technik nicht zu", meinte Vänskä. Weiters hätten später männliche Studenten viel größere Ambitionen auf höhere Jobs als weibliche.

Bei einem Studienaufenthalt in Schottland hatte Vänska den unterschiedlichen Ansatz in der Ausbildungsdoktrin registriert: Der finnischen Prämisse "Wir brauchen mehr Fachkräfte und Steuerzahler" stünde dort, ebenso wie übrigens in Irland, das Motto 'Wie können wir optimale Arbeitsplatzbedingungen und daraus folgend 'a good life' für künftige IT-BerufsanwärterInnen schaffen" gegenüber.

Generell hätten Technikjobs in Finnland - wie auch in Deutschland oder Österreich - ein Imageproblem.

"Zu viele IT-Consultants, zu wenige IT-Praktiker"

Viktor Anders, internationaler Networker bei Milestone Consulting, kritisierte die zu große Anzahl von IT-Consultants in Österreich im Vergleich zu jener der wirklichen IT-Praktiker. In Osteuropa hingegen wäre dieses Verhältnis konträr, was Anders auch auf die viel praxisorientiertere Ausbildung zurückführte.

Zur möglichen Immigration osteuropäischer IT-Techniker nach Österreich meinte Anders pessimistisch: "Ich kann russische IKT-Spezialisten viel leichter nach Taiwan vermitteln, als nach Österreich". Grund dafür seien die viel zu restriktiven Zuwanderungsbestimungen in Österreich, die für die hiesige Wirtschaft aber immer mehr zum Problem werden.

Microsoft rekrutiert nicht nach Abschluss

Alexander Hahnefeld, Leiter des Bereichs Human Resources bei Microsoft Österreich und selbst Deutscher, stellte die paradoxe Situation in Deutschland dar, wo 60.000 arbeitslosen Technikfachkräften 70.000 offenen Stellen im Technologieberich gegenüberstünden: "Das 'Siemens-Syndrom', also der langjährige Verbleib bei einem einzigen Unternehmen und die dadurch geringer ausgebildete Flexibilität sowie ein oft nicht mehr aktuelles Ausbildungsniveau machen diese Fachkräfte schwer vermittelbar." Microsoft orientiere sich bei der Rekrutierung im Übrigen weniger an Bildungsabschlüssen als an Qualifikationen. Hahnefeld würde sich auch IT-Spezialisten mit einem gewissen betriebswirtschaftlichen Ausbildungsbackground wünschen.

"Technikstudien sind offenbar nicht sexy"

DI Dr. Fritz Schmöllebeck, Rektor der größten österreichischen Technik-FH, dem Technikum Wien, stellte abnehmendes Interesse an technischen Studien fest, obwohl das FH-Konzept hohe Jobchancen bietet. Schmöllebeck ortete ein Kommunikationsproblem zwischen dem Technologiesektor und dessen relevanten Ausbildungswegen einerseits und den Zielgruppen, also SchülerInnen im Zeitraum vor den ersten Entscheidungen zu Bildungsweg und Berufsorientierung. Zudem seien "Technikstudien offenbar nicht sexy" genug.

Die Kraft der Marke

"Die BEKO Holding mit ihren ca. 600 MitarbeiterInnen sucht vergeblich etwa 60 Fachkräfte für den Engineering-Bereich und ca. 40 für den IT-Bereich", so Dr. Max Höfferer, Leiter PR/IR und Kommunikation. Der Unternehmenserfolg leide unter dem Mangel an ausgebildetem Personal. Dazu komme die "Kraft der Marke" der Großunternehmen - Firmen wie Microsoft oder Siemens hätten es sicher einfacher, Fachkräfte zu rekrutieren, als Klein- und Mittelbetriebe.

Zu wenig Aufstiegschancen

DI Manfred Schrenk, Geschäftsführer von CEIT ALANOVA sowie des GIS-Anbieters Planova, ehemals Multimediaplan, sah das Problem unter anderem in mangelnden Aufstiegsperspektiven für TechnikerInnen: "Entscheidungsträger sind vielfach WU-AbsolventInnen und JuristInnen. Techniker kommen in den Medien nicht vor, es sei denn, sie machen Fehler." Dem stimmte DI Walter Hammerl, ehemaliger IT-Manager und jetzt Lehrer an der HTL Spengergasse in Wien, zu. Technikgeführte Unternehmen seien jedoch vielfach sehr erfolgreich, wie an den Beispielen Porsche oder Toyota zu sehen ist, stellte Edmund Lindau, Moderator der Veranstaltung und Chefredakteur der Computerwelt, fest.

Schrenk stellte auch die Frage nach den Lobbies, vor allem der großen Unternehmen, die der Politik die Notwendigkeit von Kurzstudien und flexiblen Ausbildungswegen nahe legen sollten.

Rifkin: Europas Stärken

Edmund Lindau zitierte zu den thematisch verwandten Themen wie Industrieabwanderung, geringe Forschungsinvestitionen und technologischer Aufholbedarf den US-Autor Jeremy Rifkin, Europa-Lobbyist und Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends (FOET), der Europas Potenzial als künftige wirtschaftliche und technologische Weltmacht in den Bereichen Mobilkommunikation, Open Source und Ambient Intelligence sieht. Lindau: "Wir müssen uns dieser Stärken besinnen und sie forcieren".

Nokia erprobt nicht zuletzt in diesem Zusammenhang neue Formen des Lernens. Ritta Vänskä erläuterte zukunftsweisende und spannende Microlearning-Projekte wie etwa jenes in Südafrika, wo mittels einer mobilen Messaging-Engine Texte und Audiofiles, sogenannte "Infonuggets", von den Usern sowohl gestaltet wie auch zentral gespeichert und abgerufen werden können und so eine Art mobile Wikipedia entstünde.

Daran knüpfte auch Roman Tolic an, ehemaliger ORF-Filmer, nun CEO des Multimedia-Anbieters Tolikas Media und Präsident des neuen Verbandes "Content Industries": "Neue Breitbandmedien bzw. ihre Inhalte können eine stärkere Anziehungskraft für technikorientierte Ausbildungswege schaffen, vor allem dann, wenn aus der reinen Techniklastigkeit ein Zusammenspiel aus Kreativwirtschaft und Hard-Core-Technologie entsteht".

Tolic fordert die z.B. Initialisierung einer Europäischen Content University in Österreich
für Zukunftsmärkte wie etwa interaktive Mediengestaltung, innovative Inhalte und Anwendungen für die Breitbandkommunikation.
Durch Breitband und neu entstandene Kommunikationskanäle (Handy, IP-TV, POS-Systeme etc.) fände eine zweite mediale Revolution statt, neue zielgruppenspezifische Programme könnten produziert und finanziert werden. Damit entstünden neue Geschäftsmodelle und neue interaktive und medienkonvergente Werbeformate. Tolic: "Es findet auch ein Paradigmenwechsel statt: der Konsument wird auch zum Produzenten."

Lösungsansätze

Wo liegen Lösungen in der vielschichtigen Problematik des "Technikermangels"?

Das Forum einigte sich quasi einstimmig auf viel stärkere Bemühungen, Frauen an technikorientierte Ausbildungswege und Berufe heranzuführen, die Kommunikationslücke zwischen Wirtschaft und Jugend zu schließen, qualifizierte Migration zuzulassen und zu fördern und im Bereich Spitzenqualifikation Rückwanderung stärker zu unterstützen, was etwa in Irland nachhaltig angenommen wurde.

talk.IT! ist eine erfolgserprobte Veranstaltungsreihe im Rahmen der Schwechater Information Society-Initiative eSchwechat.at mit Schwerpunkt Informationstransfer, die im Jahr 2004 gestartet wurde. talk.IT! wurde organisiert von Innovation Consultancy, defrag your mind, CEIT Central European Institute of Technology und ITBeurope. Der Event wurde gesponsert von der Stadtgemeinde Schwechat.

Die genannten Institutionen sind Partner von ITBeurope http://www.itbeurope.org

Weitere Informationen

eSchwechat.at - Programm-Management
c/o Innovation Consultancy GmbH
DI Helmut Paugger
Am Concorde Park 2
A 2320 Schwechat, Österreich
T +43-1-903 60-10 00
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(Ende)
Aussender: ITBeurope
Ansprechpartner: Günther Krumpak
Tel.: +43 664 416 77 26
E-Mail: g.krumpak@itbeurope.org
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